El Médano am frühen Morgen
Heute heißt es früh aufstehen – und mit früh meine ich früh. Richtig früh. Gut, für andere ist halb fünf am Morgen wohl Normalität. Für mich ist es das nicht. Aber es nutzt nichts. Freunde wollen an den Südflughafen gebracht werden und der Flieger wartet ja schließlich nicht.
Die Fahrt ist ruhig wie erwartet – um diese Uhrzeit ist ja so gut wie keiner auf den Straßen der Insel unterwegs. Das schöne ist, ich bringe sie zum Flughafen, das heißt, anhalten, ausladen, verabschieden und weiter fahren.
Langsam beginnt es hell zu werden. Und da ich nun schon mal um diese, doch sehr unchristliche Zeit unterwegs bin, zieht mich auch nicht wirklich wieder etwas heim. Die Hunde sind versorgt, da muss ich mir keine Sorgen machen, warum also nicht den wundervollen Morgen genießen. Spontan fällt mir da El Médano ein. El Médano und der Strand der hinter dem Ort beginnt und hinüber geht bis an den Montana Roja.
Kaum gedacht und schon ist die Abfahrt El Médano erreicht. Ich fahre an der Kreuzung vor der Ortschaft rechts ab und stelle meine Dicken auf dem Parkplatz ab. Alles ist ruhig. Selbst die Surfer, die in ihren Autos, Bussen oder Wohnmobilen schlafen rühren sich noch nicht. Stille – nur das Rauschen des Meeres ist zu hören. Ich gehe hinunter zum Strand und stelle erfreut fest, dass er mir für den Moment, für den Augenblick, ganz allein gehört. Um diese Uhrzeit geht noch keiner mit seinen Hunden Gassi, kein Surfer genießt die Kraft des Windes, kein Jogger trainiert sich das Abendessen vom Vortag ab.
Nur ich, der Strand und das Meer. Ein unglaubliches, ein energiegeladenes, ein eindrucksvolles Gefühl. Schuhe aus, Socken aus und erst einmal das das kühle Nass des gigantischen Ozeans spüren.
Ganz langsam beginne ich meine kleine Wanderung, oder sollte ich es Spaziergang nennen, entlang des Meeres hinüber in Richtung Montaña Roja. Meine Blicke gleiten über die Wellen des Atlantiks, der Wind weht mir um die Nase – meine Frisur – egal, ich bin ja eh alleine.
Am Horizont geht die Sonne auf. Behutsam verlässt sie das Meer und hüllt dabei alles in ein wunderbares Licht. Die unglaublichsten Farben spiegeln sich am Himmel und auf dem Wasser. Ich bleibe stehen. Ein Schauspiel, dass ich einfach genießen muss, erleben muss, leben muss. Ich spüre förmlich, wie die Energie der aufgehenden Sonne meinen Körper durchströmt. Alles, aber auch alle nehme ich in mir auf. Halte es fest – mit meinen Augen, mit meinem Herzen.
Das Meer hat den Strand freigegeben. Es ist Ebbe und unwirklich scheinende Steinformationen, wie ich sie hier noch nie gesehen habe (gut, ich war auch noch nie bei Ebbe an diesem Strand) treten hervor. Die ausgewaschen Steine lassen die Gedanken an eine Mondlandschaft zu und die von grünen Algen umhüllten Steine erinnern einen, je nach Betrachtungsweise an Irland.
Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass es etwas geben könnte, was diesen wundervollen Augenblick zerstört. Doch dann kam sie, die Realität der Erde. Leider muss ich sagen, denn was sich dann vor meinen Augen aufgetan hat, ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Die gerade erst beendete Flut hatte so ungefähr alles an den Strand gespült, was sich so an Müll und Unrat im Meer befand. Ich stand da und war geplättet. Nie hätte ich damit gerechnet, dass es Menschen gibt, die so viel Unrat einfach im Meer abladen. Denken Menschen nicht nach? Es ist gut, dass alles an Land gespült wurde, dann können keine Tiere daran sterben. Aber ist es wirklich notwendig, dass Schiffe einfach ihre Luken öffnen und sich ihres Mülls entledigen? Sicher nicht.
Fassungslos ging ich weiter, aber die Freude über diesen wundervollen Morgen, die traumhaften Augenblicke, war mehr als getrübt.
Als ich meinen Weg zurück einschlug stellte ich mit Erleichterung fest, dass Leben an den Strand gekommen war. Die Gemeinde El Médano hatte bereits damit begonnen, die Spuren der nächtlich Flut zu beseitigen und den Strand zu dem zu machen, was er eigentlich ist. Wunderschön und irgendwie „vom Winde verweht“.
So langsam waren auch andere Menschen aus ihren „Nestern“ gekrochen. Die ersten Standspaziergänger, die ersten Jogger waren unterwegs und auch der eine oder andere Hunde durfte bereits die frische Seeluft schnuppern.
Als ich zurück zu meinem Dicken kam, lugte auch der erste Surfer aus seinem Wohnwagen und freute sich über den guten Wind. Es wird ein guter Tag werden, sowohl für den Surfer, als auch für mich. Diesen herrlichen Sonnenaufgang werde ich wohl lange nicht vergessen, auch wenn der „Flutmüll“ die Gedanken an diesen schönen Morgen noch etwas trüben wird.
Veröffentlicht am 02.07.2016